Anm.: Es werden auch Dokumente anderer Gewerke und anderer Städte verwendet, um das Bild zu vervollständigen, doch im Mittelpunkt steht das Gewerk der Berliner Knochenhauer.
Es wird hier vorrangig der Begriff Gewerk anstelle von Innung, Zunft oder Gilde verwendet.


1. Das Gewerk um 1300 am Beispiel der Berliner Knochenhauer

Die Organisation der Berliner Handwerker scheint bereits zur Stadtgründung ungewöhnlich ausgeprägt gewesen zu sein - wahrscheinlich brachten die Siedler aus Brügge und dem Niederrhein bereits im 12 Jh. feste Traditionen, Lebensweisen und Rechtsauffassungen mit. Anders wäre kaum zu verstehen, wie das Gewerk innerhalb von drei Generationen bestimmend für alle Bereiche des Lebens werden sollte. Ein "Kumpan" wurde für gewöhnlich hineingeboren, lernte, arbeitete und starb in dem Gewerk.

Spätestens im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts haben die Gewerke einen hohen Grad an Eigenständigkeit erlangt. Noch in der Belehrung an die Stadt Frankfurt von 1252 "sollen Obermeister der Bäcker von den Ratmannen bestellt werden" [Dokument von 1253], aber keine 20 Jahre später "sollen die Bäcker zu geschworenen Meistern des Jahres erwählen zwei" [Dokument von 1272], was auf ihre autonome Struktur innerhalb der Stadt deutet.


2. Der Beruf des Knochenhauers

Um das Gewerk besser verstehen zu können, soll kurz auf das Berufsbild des Knochenhauers um 1300 eingegangen werden, denn es unterscheidet sich von dem des heutigen Fleischers. Der Knochenhauer kaufte Schlachtvieh ein und verkaufte dessen Fleisch an seinem Verkaufsstand, dem sogenannten "Scharren", vor dem Berliner Rathaus. Die Schlachtung selbst führte er aber nicht durch, sondern dies übernahm der "Kutter" und der Wurstmacher auf dem damaligen Berliner "Wursthofe", nahe dem Heiligen-Geist-Hospital, in der Heiligen-Geist-Gasse. Der Kutter und der Wurstmacher waren eigenständige Berufe, die dem Knochenhauergewerk untergeordnet waren. [Meyer, S. 6]

Auch der Kutter durfte Schlachtvieh einkaufen, dies aber nur zu Fuß, also in der näheren Umgebung, während es allein dem Knochenhauer gestattet war auch weiter entfernt seinen Einkauf zu tätigen. Dafür hielt er sich mindestens ein Pferd und legte meist weite Strecken an einem Tag zurück, was er vielerorts - vielleicht auch in Berlin - zu einem Nebenerwerb nutze: als "Metzger-" oder "Schlächterpost" beförderte er gegen ein Entgeld Briefe. Erst 1516 führte Baptist von Taxis ein reguläres Postwesen ein, mit dem diese Tätigkeit wegfiel. Ein Posthorn im Innungsschild einiger Fleischer soll zuweilen noch daran erinnern. [Meyer, S. 7]


3. Die Bildung des Gewerks

Das Recht, ein Gewerk zu Gründen, erteilt allein der Stadtrat, der im 13. Jh. noch fast ausschließlich aus der Schicht reicher Fernkaufleute bestand. Dies formuliert der Berliner Rat auch 1253 in der Belehrung an die Stadt Frankfurt: "Allen aber, welche Handwerke betreiben, als Bäcker, Schuster, Fleischer oder welches Gewerks sie immer sein mögen, soll es nicht freistehen, in der Stadt was man "Innung" nennt, zu haben, es sei denn mit Willen und Erlaubnis der Ratmannen und zwar nur so lange, wie es diesen beliebt und sie es wollen." [Dokument von 1253] Das scheint zumindest der Grundgedanke gewesen zu sein, denn keine 20 Jahre später lassen sich die ersten Berliner Berufsgruppen ihr Gewerk rechtlich verbriefen - ein sinnloses Unternehmen, wenn der Rat es jederzeit wieder entziehen dürfte.

Die Bestätigungen der Gewerke von Berliner Bäckern, Kürschnern und Schustern fallen in die Jahre 1272 bis 1284, so dass wahrscheinlich auch die Bestätigung eines Knochenhauer-Gewerks spätestens zu dieser Zeit erfolgte. Doch ist solch eine Bestätigung ohnehin nur als schriftliche Form zu verstehen, in welcher die Ratsmitglieder den Handwerkern "die Freiheiten zu genießen geben, welche sie seit der ersten Gründung der Stadt genossen haben" [Dokument von 1284] - also seit Beginn des 13. Jahrhunderts.

Aber warum kommt es überhaupt zur Bildung von Gewerken? Das kann berwelf nur vermuten: wahrscheinlich liegt es an der pseudo-demokratischen Struktur der mittelalterlichen Stadtverwaltung - der Rat besteht aus Bürgern weniger Fernkaufmanns-Familien, die zwar sehr reich sind, deren Recht sich aber lediglich auf die Wahl ihrer Vorgänger stützt. Ihnen gegenüber stehen allen voran die wohlhabenden Handwerker der Knochenhauer, Bäcker, Tuchmacher und Schuster, das spätere Viergewerk. "Da der gesunde Mensch nicht lange Zeit ohne Brot sein kann" [Dokument von 1272] und um eine offene Konfrontation zu vermeiden, gewährt der Stadtrat den einzelnen Handwerkszweigen ein gewisses Maß an Eigenorganisation, scheinbar in der Hoffnung, "dass die Ratmannen volle Gewalt haben über das Gewerk." [Dokument von 1284]
Die Abhängigkeit von der Bürgerschaft zeigt sich zumindest auch in Entscheidungen von Krieg und Frieden, bei denen es üblich schien, dass der Rat vor die Bürger trat - so z. B. auch 1311 in Rostock, wo der Stadtrat lieber mit den Fürsten verhandeln wollte als Krieg gegen sie zu führen:
"Dit geschach, de menheit quam to hope" [Engel, S. 114] (Es geschah, die Allgemeinheit kam zusammen) und entschied sich übrigens für den Krieg.


4. Die Aufnahme in das Gewerk

Die Voraussetzungen zur Aufnahme in ein Gewerk scheinen um 1300 nicht so scharf, wie es in späterer Zeit üblich wird. Dies mag aber auch nur ein regionales Zugeständnis sein, ähnlich der "Freiheit" des märkischen Bauern. In den Bestätigungen der Gewerke lassen sich zumindest nur zwei Forderungen eindeutig nachweisen: ein gewisses Vermögen sowie die Beherrschung des Handwerks.
So müssen die Bäcker 10 Schilling an die Stadt zahlen, während die Schuster 3 Schillinge an die Stadt und
"6 Schillinge weniger 4 Pfennige sowie zwei Pfund Wachs" [Dokument von 1284] an das Gewerk geben sollen. Zum Anderen werden die handwerklichen Fähigkeiten überprüft, denn: "Ferner soll, wer das Gewerk gewinnt, vor des Meisters Ofen backen, damit man sieht, ob er sein Gewerk kann" [Dokument von 1272] - so wird es 1272 in der Bestätigung des Bäcker-Gewerks gefordert.
Die Forderung nach einer "ehrbaren Abstammung" oder des Bürgerrechts wird zumindest nicht ausdrücklich erwähnt, vielmehr wird 1280 in der Bestätigung des Kürschner-Gewerks als Erstes eingeräumt:
"Erstens, daß kein Fremder sich unterstehe, Kürschnerwaaren auf dem Markte zu verkaufen, wenn er nicht vorher das gemeinsame Gewerk von den Meistern gewonnen hat." [Dokument von 1280] Dies mag den Berliner Zunftmitgliedern nicht gefallen haben, so dass man vier Jahre später in dem Innungsbrief der Schuster folgenden Zusatz findet: "Sodann, wenn ein fremder Anzügler oder ein Einwohner käme und das Gewerk gewinnen wollte, die gedachten Meister aber verhinderten ihn etwa daran aus Haß oder irgendwelcher anderer Ursache, so sollen die Ratmannen nach dem Rate der Stadt, wenn er ehrlich und rechtschaffen ist, das Gewerk ihm geben auch ohne die Zustimmung jener." [Dokument von 1284] - hier könnte allerdings erstmals die Forderung nach einer Abstammung, die "ehrlich und rechtschaffen ist", verborgen sein.
Auch wenn das Bürgerrecht nicht vorausgesetzt wurde, mußte ein Genosse jedoch in der Stadt leben, denn 1284 in der Bestätigung des Oldbuter-Gewerks wird gefordert,
"dass wer mit seinen Kindern und seinem Weibe aus der Stadt von seinen Genossen geht, zum zweiten Male das bezeichnete Gewerk gewinnen soll" [Dokument von 1284] - genauer wird dies nochmal in der erneuten Bestätigung des Gewerks 1399 formuliert: "soll er die Mitgliedschaft des Gewerks verlieren, und muß sie erst wieder gewinnen." [Dokument von 1399]
Schließlich mußte der Jungmeister einen Eid leisten, der schon früh eine zentrale Rolle zu spielen scheint, da er z. B. in der Bestätigung des Bäcker-Gewerks 1272 und auch im Innungsbrief der Schuster 1284 erwähnt wird. Für die Berliner Knochenhauer lautete dieser:

"Ich soll keine milchende Sau, kein Zehrvieh (abgezehrtes) kein einäugiges, noch kein Vieh mit Richten nicht verkaufen, das von den armen Leuten oder aus den Hospitälern, oder aus dem Heiligengeiste gekauft ist, und soll auch keinen Unterkauf tun meinen Mitkumpanen. Ich soll und will gehorsam sein dem Rate, getreu und gewärtig, so war mir Gott helfe und seine Heiligen."
[Meyer, S. 10]

Die erste Forderung an den Knochenhauer verlangte, (der damaligen Auffassung folgend) nur gutes Schlachtvieh zum Kauf anzubieten: Tiere, die einen Makel aufwiesen, wie z. B. ein fehlendes Auge, galten als fehlerhaft und damit war auch deren Fleisch nicht zum Verzehr geeignet. Solches Vieh wurde meist den Armen überlassen, also vornehmlich den beiden Armenhäusern zu St. Georg und zum Heiligen Geiste. Diese, so läßt der Eid vermuten, versuchten scheinbar mitunter, das makelhafte Vieh an die Knochenhauer zu verkaufen.
Als zweite Forderung tritt das Verbot des sogenannten "Unterkaufs" auf. Darunter verstand man den Kauf einer Ware durch Überbieten, während ein anderer noch über den Preis verhandelte - dadurch wurde die direkte Konkurrenz der Knochenhauer untersagt. [Meyer, S. 10]
Schließlich wird der Gehorsam gegenüber dem Stadtrat gefordert. Dieser Teil weist darauf hin, dass der ganze Eid vom Rat selbst stammt und dieser befürchtete, die Kontrolle über das Gewerk zu verlieren. Bereits Ende des 13. Jh. wurde vom Wismarer Rat eine Verordnung erlassen, dass sich nicht mehr als 10 Leute ohne Kenntnis des Rates in einem Haus versammeln dürfen [Brügmann, S. 143], während 1284 der Berliner Rat in dem Innungsbrief der Schuster bestimmte,
"dass vorbenannte Schuhmacher eine sogenannte Morgensprache (Frühbesprechung) nur in Gegenwart von zwei Mitgliedern des Rats halten sollen." [Dokument von 1284] Dieser Argwohn war scheinbar berechtigt: 1345 erfuhr der Rat in Wismar von einem geheimen Schwur der Bäcker, nach dem kein Meister vor dem Rate etwas gegen sein Gewerk unternehmen dürfe [Brügmann, S. 143] und 1346 erhoben sich die Gewerke in Berlin - wie in anderen Städten auch - und setzten eine Ratsbeteiligung durch.

Bereits 1288 taucht in dem Innungsbrief für die Berliner Schneider die Bestimmung auf, dass "die Tochter die Hälfte des Gewerks, der Sohn aber das ganze Gewerk wie der Vater besitzen" [Dokument von 1288] soll. Weibliche Zunftgenossen scheinen um 1300 bereits üblich zu sein, auch wenn sie nur das "halbe Gewerk" besitzen - dies könnte sich z. B. auf die zu leistenden Zahlungen oder auf die Befreiung vom Wachdienst beziehen.


5. Die wirtschaftliche Struktur

Als Hauptzweck eines Gewerks wird die wirtschaftliche Absicherung der Zunftgenossen genannt. Die wichtigsten Instrumente dafür waren der Zunftzwang und der Verbot des Unterkaufs, womit die Konkurrenz sowohl außerhalb als auch innerhalb der Zunft unterbunden wurde. Der Zunftzwang äußert sich beispielsweise 1280 in der Bestätigung des Kürschner Gewerks, "daß kein Fremder sich unterstehe, Kürschnerwaren auf dem Markte zu verkaufen" [Dokument von 1280], während das Verbot des Unterkaufs scheinbar meist über den Eid geschah, wie in dem schon oben erwähnten Schwur der Knochenhauer, aber auch ausdrücklich 1284 in dem Innungsbrief der Schuster gefordert wird, "dass der Ankauf des Leders zur Anfertigung der Schuhe unter ihnen nicht verhindert werde." [Dokument von 1284]

Schon früh schienen die Genossen auch ihre Nachkommen absichern zu wollen, denn in der Bestätigung des Berliner Bäckergewerks wurde bereits 1272 eingeräumt, "wenn ein Bäcker nach Gewinnung des Gewerks eheliche Söhne bekommt, dann erben diese das halbe Gewerk und Gilde" [Dokument von 1272] Und 1280 erklärt sich der Stadtrat in der Bestätigung des Kürschner-Gewerks bereit, "daß, wenn ein Kürschner Söhne hat, die in unserer Stadt geboren sind, und diese das Gewerk gewinnen wollen, wir mit 18 Pfenning für die Stadt und ebensoviel und ein halb Pfund Wachs für die Meister uns begnügen wollen." [Dokument von 1280]

Im Jahre 1311 gewährt der Rat sogar, "den hier wohnenden Knochenhauern und ihren Erben die Fleischscharren der Stadt Berlin inne zu haben und zu besitzen." [Dokument von 1311] Bei den Scharren handelt es sich um einfache Verkaufsstände, die sich auf dem Platz vor dem Berliner Rathaus befanden [Meyer, S. 6] und an denen sie ihre Waren, wahrscheinlich wie die Bäcker, "an den Markttagen an ihren Stellen, auf ihren hingestellten Tischen, frei und ungehindert verkaufen" [Dokument von 1253] durften. Obwohl der Stadtrat 1253 ausdrücklich hinzufügt "aber in der Woche verbieten wir ihnen dies" und ihnen lediglich den Verkauf "in ihren Häusern, unter der Verdachung ihrer Fenster" gestattet, schien es eine finanzielle Absicherung für die Familie gewesen zu sein. In diesem Statut von 1311 wird ferner geregelt, dass sie "in jedem Vierteljahr ... 6 Schill. und 5 Pf. Zins geben, und alle Vierteljahre sollen die Scharren ... verloset werden" [Dokument von 1311], womit nur der genaue Standort des Scharrens gemeint sein dürfte.

Aber auch der Stadtrat scheint die Gewerke seit frühester Zeit als Instrument benutzt zu haben, seine wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen: nämlich die Versorgung der Bevölkerung mit allem Lebensnotwendigen. Im Jahre 1342 erläßt der Stadtrat von Lübeck z. B. eine Bestimmung für die Knochenhauer, nach der ein "par pedum porcinorum" den preis von 2 lüb. Den. nicht übersteigen durfte. [Brügmann, S. 191] Aber auch in der Bestätigung des Berliner Bäckergewerks von 1272 wird der Nutzen für die Stadt klargestellt, nämlich "dass sie brauchbares Brot backen, vier oder zwei für einen Pfennig" - neben der Forderung: "Die Meister sollen die Stadt nicht ohne Brot stehen lassen". [Dokument von 1272]


6. Die soziale Struktur

Dem Gewerk selbst gehörten nur die Meister an, aus deren Reihen sie zwei Gewerksmeister wählten, "welche alle das bezeugen, was sie für angemessen, nützlich und ehrbar erachtet haben, sowie auch das, was unter ihnen zu bestrafen ist." [Dokument von 1284] und "die nach ihrem Eid den Gewerksgenossen heißen und gebieten sollen." [Dokument von 1272] Aus dem Innungsbrief für die Berliner Schneider von 1288 geht außerdem hervor, dass es bereits eine "burschap" [Dokument von 1288] gab. Ihr gehörten wahrscheinlich alle Knochenhauer an, die ihre Lehrzeit abgeschlossen, aber den Meistertitel noch nicht erlangt hatten - vielleicht auch nie erlangen werden. Der Burschenschaft dürften auch die Lehrlinge untergeordnet gewesen sein. Fiel ein Meister oder Geselle durch Krankheit aus, erhielt er einen festgesetzten Betrag aus der Zunftkasse, den er nach seiner Genesung zurückzuzahlen hatte. Hierbei unterscheidet ein Berliner Schuhmachergesellenbrief von 1384 bei der finanziellen Hilfe zwischen großen, mittleren und kleinen Gesellen. [Müller, S. 210]

Die enge soziale Bindung eines Gewerks zeigte sich auch in einer räumlichen Nähe. Für gewöhnlich schienen sowohl der Geselle als auch der Lehrling auf dem Grundstück ihres Meisters zu wohnen, denn gemäß einer Knochenhauerrolle von 1410 aus Lübeck, hatte ein Geselle seinem Meister 1 (ß) lüb. und den Gewerksmeistern 6 Pf. zu zahlen, wenn er die Nacht nicht im Meisterhause geschlafen hatte. [Brügmann, S. 179] Auch die einzelnen Grundstücke der Knochenhauer waren wahrscheinlich zueinander benachbart oder lagen zumindest nahe beisammen, wie es für Handwerker dieser Zeit üblich war und einige Straßennamen dieser Zeit vermuten lassen, z. B. die Fischerstraße im heutigen Berlin-Mitte. Vielleicht zentrierten sich die Berliner Knochenhauer in der Spandauer Straße, der damals besten Gegend Berlins. [Müller, S. 171]


7. Die Gerichtsbarkeit

Nach der Bestätigung des Berliner Bäckergewerks 1272 ist der Bäcker nur dann Mitglied des Gewerks, "so lange er seinen Kumpanen ihre rechtliche Forderung leistet". [Dokument von 1272] Die Mittel zur Durchsetzung dieser Forderungen scheinen sich stets auf Geldstrafen zu beschränken, denn dort heißt es auch: "Würden die Gewerksgenossen zusammenberufen und käme einer aus Ungehorsam nicht dazu, den mögen sie um 6 Pfennige pfänden. Auch mögen sie nehmen als Bruch drei Schilling weniger einen Pfennig von dem, der das verwirkt." Dem letzten Satz nach konnte das Gewerk bei Ausbleiben der geforderten Zahlung wiederum nur eine Geldstrafe verhängen, wenn auch eine ausgesprochen hohe. Eine deutliche Einschränkung dieser Gerichtsbarkeit folgt direkt im Anschluß: "Verbräche jemand noch ferner und Größeres, das sollen die Meister bringen vor die Ratmannen." Doch auch bei diesen schweren Vergehen findet sich noch ein Zugeständnis an das Gerwerk, denn "von dem Strafgelde soll die Stadt zwei Teile, die Genossen den dritten haben."

Der Eingriff in die städtische Gerichtsbarkeit empfand der Rat verständlicherweise als besonders störend und nicht jedes Gewerk konnte dies durchsetzen. So heißt es z. B. 1284 in der Bestätigung des Schuhmachergewerks ausdrücklich: "wenn jemand etwas übertritt, das zu ihrem eigenen und der Stadt Nutzen dient, so ist er zu strafen nach der Entscheidung der Stadt und der Ratmannen" [Dokument von 1284], was scheinbar keine Selbstverständlichkeit war.

Die Bestätigung des Kürschner Gewerks von 1280 trifft zwar nur die ungenaue Aussage, daß bei einem Verstoß "die ganze Zunft der berlinischen Kürschner den Gewerksmeistern zu seiner Bestrafung behilflich sei" [Dokument von 1280], dennoch läßt sich dem entnehmen, dass die Gewerksmeister das Recht besaßen, Strafen zu verhängen, und alle Zunftmitglieder ihnen bei der Vollstreckung behilflich sein mußten. Die Gerichtsbarkeit der Gewerksmeister beschränkt sich grundsätzlich auf Zunftmitglieder, doch finden sich auch weitergehende, rechtliche Zugeständnisse an die Gewerke, so z. B. 1311 in dem Statut für die Berliner Knochenhauer: "wenn sich Jemand in dem Scharren durch Schläge oder mit Worten vergeht, so soll man das vor die Rathmannen bringen, damit diese das Vergehen bestrafen mögen" [Dokument von 1311] - scheinbar eine Sache, die sonst nicht verhandelt worden wäre.

Auch das Recht, Zunftmitglieder vom Gewerk auszuschließen, lag bei dem Gewerk selbst, sonst hätte der Stadtrat 1288 die Berliner Schneider nicht auffordern müssen, "dass streng darauf gehalten werde, alle Diejenigen aus der Gilde auszustoßen, die sich durch Diebstahl oder Betrug vergangen haben". [Dokument von 1288]


Siegel der Berliner Knochenhauer von 1311.

berwelfs Interpretation als
Wappen auf einem Infanterieschild.

8. Wappen und Siegel

Ein Wappen der Berliner Knochenhauer ist aus dieser frühen Zeit nicht bekannt, aber es ist ein Siegelabdruck von 1311 erhalten; das älteste Berliner Zunftzeichen. [Grenser, S. 6 und Tafel XII] Dieses zeigt zwei aufrecht stehende Beile mit den Klingen nach außen - interessanterweise in einem Schild stehend. berwelf vermutet daher, dass dieses Siegel einen Reiterschild der Berliner Knochenhauer zeigt, der bereits das Wappen des Gewerks trug. Zu erwähnen sei noch, dass zwei unterschiedliche Fleischerbeile abgebildet sind, rechts ein schweres mit leicht gekrümmten Stiel und links ein leichtes, geradstieliges Beil - wahrscheinlich die beiden wichtigsten Werkzeuge der Berliner Knochenhauer um 1300.

Eine Farbgebung des Wappens wird - berwelfs Wissen nach - erstmals am 6. Mai 1701 beschrieben, als sich die Knochenhauer vor der Stadt einfanden, um Kaiser Friedrich I. beim Einzug zu begleiten. Dort sollen sie eine "rote, goldgestickte Standarte" und "die neue gold- und silbergestickte Standarte von rotem Atlas" getragen haben, die extra für dieses Ereignis angefertigt wurde. [Meyer, S. 16] Die "neue" Standarte ist bis heute erhalten und soweit berwelf dies zuordnen konnte, beschränkt sich deren silberne Bestickung auf florale Ornamente, so dass die Wappenfarben bei beiden Standarten als Gold (Gelb) auf rotem Grund zu deuten sind - auch wenn sich das Wappenbild bereits etwas verändert hat: es zeigt nun zwei gekreutzte Beile über einem Stierkopf.
Rot scheint zumindest eine naheliegende Farbe für die Knochenhauer gewesen zu sein, den auch die Metzger zu Augsburg trugen 1545 in rotem Schild zwei gekreuzte silberne Beile an goldenen Stielen [Grenser, S. 70] und bereits im 12. Jh. zeigt das Wappen der Straßburger Metzger
"hinten in Rot ein aufrechtgestelltes Fleischerbeil". [Grenser, S. 71]

Da die Berliner Knochenhauer um 1300 bereits ein eigenes Wappen führten, hält berwelf einheitliche Wappenröcke ebenso für wahrscheinlich. Beim erwähnten Ereignis im Jahre 1701 heißt es dazu: "Sie trugen sämtlich braune Röcke mit silbernen Knöpfen und rotseidene Bandschleifen an den Hüten; die der Anführer waren mit silbernen Treffen besetzt, ebenso die Röcke." Außerdem sollen ihre Pferde "grüne Schabracken" getragen haben. [Meyer, S. 16] Auch am 26. September 1786 beim Einzug Friedrich Wilhelms II. in die Stadt Berlin wird berichtet: "Ihre Kleidung bestand aus braunen Röcken..." [Meyer, S. 17]
Vielleicht trugen die Berliner Knochenhauer bereits um 1300 braune Wappenröcke - zusammen mit dem gold(gelb)-rotem Wappen würde diese Farbgebung zumindest weitgehend dem Rat von Alfred Grenser folgen:
"Wo ein Handwerkswappen farbig dargestellt werden soll, ohne dass man andere Vorlage hat, als etwa ein Siegel, ... lehne man sich an die Landes- oder Stadtfarben an." [Grenser, S. 8] - in diesem Fall das askanische Rot-Silber(Weiß) und wahrscheinlich Braun-Silber(Weiß) für Berlin.


9. Die militärische Struktur

Die für ihre Arbeit erforderliche Haltung eines Pferdes bestimmte auch die militärische Funktion der Knochenhauer: sie stellten schon seit frühester Zeit schwere Panzerreiter. So fordert z. B. 1361 der Stadtrat von Lübeck, dass sich jeder Knochenhauer ein Pferd im Werte von 12 M. lüb. hält, und 1417 wird hinzugefügt, dass jeder Meister so oft für den Rat und die Stadt reite, "alse van oldinghes geweset hefft" [Brügmann, S. 207] (als es von den Ältesten gefordert wird). Dass solche berittenen Verbände ausnahmsweise auch zu Fuß dienten, soll aus der Aufrüstung der Straßburger Zunftwehren von 1392 hervorgehen. [Kostümkunde, 2/75, S. 102]

Geht man von 30 Fleisch-Scharren aus, wie den ältesten Berliner Stadtbucheinträgen zu entnehmen ist [Meyer, S. 6], und einem vollgerüsteten, berittenen Meister pro Familie dürften allein die Berliner Knochenhauer etwa 40 Panzerreiter gestellt haben, da es an Scharren nach dem Statut von 1311 scheinbar mangelte. Außerdem dienten die Gesellen und Lehrlinge als Infanteristen an einem bestimmten Mauerabschnitt - ihre Zahl würde berwelf bei nur einem Gesellen und einem Lehrling pro Meister auf mindestens 80 Mann in 8 Rotten schätzen.

Zumindest den Lehrlingen wurden wahrscheinlich Waffen und Rüstungen vom Gewerk gestellt, auch wenn eine gesonderte Zahlung dafür, das sogenannte Harnischgeld, erst später auftaucht: 1410 betrug sie für die Knochenhauer in Wismar 2 M. 4 (ß) - sie zahlten damit am meisten von allen Gewerken und dürften daher auch über die beste Bewaffnung verfügt haben. [Brügmann, S. 208]


10. Sitten & Bräuche

Die zunfttypischen Sitten und Gebräuche werden zuletzt angesprochen, denn diese sind nur nachvollziehbar, wenn man die Bedeutung der frühen Gewerke für ihre "Kumpane" erahnt. Bereits 1284 wird "eine sogenannte Morgensprache (Frühbesprechung) nur in Gegenwart von zwei Mitgliedern des Rats ... und von zwei Meistern, die Geschworene des Gewerks sind," [Dokument von 1284] gehalten. Dies wahrscheinlich bereits bei geöffneter Lade, einer Truhe, die alle Dokumente des Gewerks enthält wie z. B. deren Bestätigung und später eingeräumte, zusätzliche Rechte sowie die Zunftkasse. Solche Versammlungen fanden mit Sicherheit in einem Zunfthaus statt, in dem auch die Lade aufbewahrt wurde - solch ein Haus könnte für das 14. Jh. im ehemaligen Hohen Steinweg Nr. 15 in Berlin Mitte gefunden worden sein. Eine Geschäftsordnung des Berliner Schneidergewerks, die aus dem 14. Jh. stammen soll, gibt eine Ahnung wie formal und rituell solche Versammlungen abliefen. [Geschäftsordnung] In dieser Geschäftsordnung werden auch ein Zepter sowie ein "Willkommen" genannt, wahrscheinlich ein Kelch für den Willkommenstrunk. berwelf vermutet, dass der Kelch bei kirchlichen Ritualen und das Zepter als Herrschaftssymbol und Zeichen der Gerichtsbarkeit beim Adel entliehen war.

Das Gewerk war auch für die "zünftige" Beerdigung ihrer "Kumpane" zuständig. So sollte z. B. ein Schuhflicker bei Erlangung des Meistertitels "einen Schilling geben, um eine Begräbnisbahre zu machen" [Dokument von 1284] - eine Regelung scheinbar speziell für weniger wohlhabende Gewerke. Für diese Beerdigungen und andere religiöse Feste waren auch die Abgaben in Form von Wachs bestimmt, so mußte z. B. ein Geselle, um in das Gewerk der Kürschner aufgenommen zu werden, "3 Schilling und 1 ganzes Pfund Wachs" [Dokument von 1280] in die Zunftkasse geben.


11. Die anderen Gewerke

Dieses hier gezeichnete Bild der Berliner Knochenhauer ist mit geringen Änderungen auf die anderen Gewerke übertragbar. Je nach Wichtigkeit und Einfluß konnten sie sich mehr oder weniger Rechte "verbriefen" lassen, doch eines schien allen gemein: es war eine soziale Gemeinschaft innerhalb der mittelalterlichen Stadt. Keine harmonische Freundschaft verband die Mitglieder, sondern vielmehr der eigennützige Vorteil, eine strenge Hierarchie und zuweilen auch ein penibler Bußgeldkatalog.